Migrant:innen im Alter

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Vie­le Men­schen, die als soge­nann­te „Gastarbeiter:innen“ nach Deutsch­land gekom­men sind, haben sich u. a. aus fami­liä­ren Grün­den ent­schie­den, in Deutsch­land zu blei­ben. In Bal­lungs­zen­tren wie in Ber­lin, Stutt­gart und Städ­ten des Ruhr­ge­biets sind älte­re Migrant:innen eine der am stärks­ten wach­sen­den Bevöl­ke­rungs­grup­pen. Vie­le sind ab den 1960er Jah­ren aus unter­schied­li­chen Grün­den ein­ge­wan­dert. Sie kamen als Flücht­lin­ge, Arbeits­mi­gran­ten, Aus­sied­ler, Stu­die­ren­de oder Kauf­leu­te. Oft haben sie Schwie­rig­kei­ten, sich im Alten­hil­fe- und ins­be­son­de­re im Pfle­ge­sys­tem zurecht­zu­fin­den und ihre Rech­te zu ken­nen. Viel­fach fehlt ihnen das Wis­sen zu ihren Leis­tungs­an­sprü­chen und über unter­stüt­zen­de Bera­tungs­stel­len. Zwar gibt es meh­re­re Stel­len, die Aus­künf­te zur Pfle­ge für Migrant:innen geben und u. a. über das Ver­sor­gungs­an­ge­bot, Ver­si­che­rungs­an­sprü­che und Finan­zie­rungs­mög­lich­kei­ten infor­mie­ren; die stän­di­ge Her­aus­for­de­rung besteht aber dar­in, dass die Betrof­fe­nen und deren Ange­hö­ri­ge sol­che Infor­ma­ti­ons- und Bera­tungs­stel­len ken­nen. Dies gilt vor allem für klei­ne­re eth­ni­sche Grup­pen. Hier kann über die Zusam­men­ar­beit mit eth­no­spe­zi­fi­schen Com­mu­ni­ties viel zur Auf­klä­rung und Wis­sens­ver­mitt­lung bei­getra­gen werden.

Zur gesundheitlichen und pflegerischen Situation von älteren Migrant:innen

Aus ein­schlä­gi­gen Stu­di­en wis­sen wir, dass vie­le „Gastarbeiter:innen“, die schwe­re kör­per­li­che Arbeit zu ver­rich­ten hat­ten, frü­her als der Durch­schnitt der älte­ren Bevöl­ke­rung chro­nisch krank und pfle­ge­be­dürf­tig wer­den. Ihr Alters­ein­kom­men liegt unter dem ver­gleich­ba­ren Durch­schnitt ihrer Alters­grup­pe. Auch die­je­ni­gen, die gut Deutsch gespro­chen haben, ver­lie­ren oft ihre Sprach­kom­pe­tenz, z. B. im Fal­le einer Demenz oder auf­grund feh­len­der Kon­tak­te und damit feh­len­der Anwen­dung der deut­schen Spra­che. Die Erwar­tun­gen an Ange­hö­ri­ge, dass sie im Alter die Ver­sor­gung durch­füh­ren, sind tra­di­tio­nell noch aus­ge­präg­ter als bei älte­ren Deutschen. 

In Bal­lungs­räu­men, wie z. B. in Ber­lin, haben sich inzwi­schen spe­zi­fi­sche Bera­tungs­an­ge­bo­te bewährt. Die „Inter­kul­tu­rel­len Brückenbauer:innen in der Pfle­ge – IBIP“ sind Bera­tungs­stel­len, die Hil­fe­su­chen­de und Pfle­ge­be­dürf­ti­ge in fol­gen­den Spra­chen bera­ten und bei der Rea­li­sie­rung von Leis­tungs­an­sprü­chen unter­stüt­zen: Deutsch, Ara­bisch, Eng­lisch, Fran­zö­sisch, Kur­disch (Sora­ni), Far­si, Dari, Rus­sisch, Bos­nisch, Kroa­tisch, Ser­bisch, Tür­kisch, Viet­na­me­sisch und Pol­nisch. An sie kön­nen sich Men­schen mit Pfle­ge­be­darf oder deren Ange­hö­ri­ge wen­den. Die Beschäf­tig­ten dort kom­men aus unter­schied­li­chen kul­tu­rel­len, reli­giö­sen und sprach­li­chen Kul­tu­ren. Ihre Auf­ga­be ist es, Men­schen mit Pfle­ge­be­darf und Migra­ti­ons­hin­ter­grund nied­rig­schwel­lig zu errei­chen und kul­tur­sen­si­bel über ihre Ansprü­che zu infor­mie­ren sowie auf vor­han­de­ne Hilfs­an­ge­bo­te auf­merk­sam zu machen. Gleich­zei­tig wer­den Pfle­ge­fach­kräf­te sen­si­bi­li­siert für ande­re Per­spek­ti­ven, und in Ein­rich­tun­gen der Pfle­ge wer­den Maß­nah­men zur inter­kul­tu­rel­len Öff­nung umgesetzt. 

Die­ses Pro­jekt ist im Rah­men eines Modell­vor­ha­bens, geför­dert durch den GKV-Spit­zen­ver­band (2015–2018) ent­stan­den, wel­ches wis­sen­schaft­lich beglei­tet wur­de. In einem ers­ten Schritt wur­den die Mit­ar­bei­ten­den geschult und für ihre Bera­tungs­auf­ga­ben vorbereitet.

Mitt­ler­wei­le arbei­ten die Inter­kul­tu­rel­len Brückenbauer:innen in der Pfle­ge, in der Regel­ver­sor­gung als Bestand­teil von Pfle­ge­stütz­punk­ten, über die Stadt ver­teilt. Die Finan­zie­rung erfolgt als Bera­tungs­leis­tung der „Sozia­len Pfle­ge­ver­si­che­rung“ und zusätz­lich über Mit­tel aus dem Lan­des­haus­halt. Die Unter­stüt­zung von Pfle­ge­be­dürf­ti­gen beim Zugang zu Leis­tungs­an­sprü­chen ist für Fami­li­en mit älte­ren Pfle­ge­be­dürf­ti­gen auch von gro­ßem mate­ri­el­lem Inter­es­se, denn vie­le die­ser Älte­ren haben unter­durch­schnitt­li­che Ren­ten und Alterseinkünfte.

Kultursensible Pflege

Wäh­rend die Brückenbauer:innen vor allem die Auf­ga­be wahr­neh­men, Pfle­ge­be­dürf­ti­ge bei der Rea­li­sie­rung von Leis­tungs­an­sprü­chen zu unter­stüt­zen, wird seit eini­gen Jah­ren über den Anspruch von „kul­tur­sen­si­bler Pfle­ge“ dis­ku­tiert. Dabei geht es um die Fähig­kei­ten und Kom­pe­ten­zen der­je­ni­gen, die die Pfle­ge bei Patient:innen und Pfle­ge­be­dürf­ti­gen aus­füh­ren. Kul­tur­sen­si­ble Pfle­ge „zielt dar­auf ab, die spe­zi­fi­schen Bedürf­nis­se von Migran­ten oder Min­der­hei­ten sicht­bar zu machen und einen gleich­be­rech­tig­ten Zugang zur Pfle­ge zu ermög­li­chen. Durch die Kennt­nis und Wert­schät­zung kul­tu­rel­ler Unter­schie­de – und zwar auf­sei­ten der Pfle­ge­fach­kräf­te sowie der Pfle­ge­be­dürf­ti­gen – wird im Sin­ne der kul­tur­sen­si­blen Pfle­ge die Pfle­ge­be­zie­hung ver­bes­sert und die inter­kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz der Ein­rich­tung weiterentwickelt.“

Wor­in der Unter­schied zur Pfle­ge in deut­schen Fami­li­en besteht, ver­an­schau­licht ganz prak­tisch die­ses Video.

Kul­tur­sen­si­ble bzw. inter­kul­tu­rel­le Pfle­ge wird von Ein­rich­tun­gen oft durch die Ein­stel­lung von mut­ter­sprach­li­chen Beschäf­tig­ten rea­li­siert. Sie sind aber am häu­figs­ten bei Pfle­ge­hel­fern zu fin­den, sel­te­ner bei Pfle­ge­fach­kräf­ten. Vor allem in Bal­lungs­räu­men sind in den letz­ten Jah­ren auch klei­ne ambu­lan­te Pfle­ge­diens­te ent­stan­den, die sich teil­wei­se auf eth­no­spe­zi­fi­sche Grup­pen wie Tür­kisch- und Rus­sisch­spre­chen­de kon­zen­trie­ren. Sol­che Diens­te bau­en ein Netz zu Migrant:innen-Communities auf und nut­zen Info­ma­te­ri­al in deren Sprachen. 

Die Eta­blie­rung von kul­tur­sen­si­bler Pfle­ge in grö­ße­ren Pfle­ge­diens­ten und Pfle­ge­hei­men muss aber auch Bestand­teil der Qua­li­täts- und Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung wer­den und setzt eine sys­te­ma­ti­sche Qua­li­fi­zie­rung des Per­so­nals vor­aus. Eine kul­tur­sen­si­ble Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Kran­ken- und Alten­pfle­ge ist auf­wen­dig; die dafür nöti­gen Res­sour­cen müss­ten in der Regel­fi­nan­zie­rung berück­sich­tigt werden.

Finanzierung von Sprachmittler:innen

Deutsch­lands viel­fäl­ti­ge Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft macht es erfor­der­lich, dass Sprach­bar­rie­ren bei allen medi­zi­ni­schen Behand­lun­gen abge­baut und ange­mes­sen berück­sich­tigt wer­den. Dies setzt fach­lich qua­li­fi­zier­te Sprachmittler:innen vor­aus. Im Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel wur­de ver­ein­bart: „Sprach­mitt­lung auch mit Hil­fe digi­ta­ler Anwen­dun­gen wird im Kon­text not­wen­di­ger medi­zi­ni­scher Behand­lung Bestand­teil des SGB V (sie­he Koali­ti­ons­ver­trag Sei­te 65 unten).“ Dies bedeu­tet eine regel­haf­te Finan­zie­rung sol­cher Leis­tun­gen nach dem Kran­ken­ver­si­che­rungs­recht, was einer lang­jäh­ri­gen GRÜNEN For­de­rung ent­spricht. Mit der Umset­zung wird ver­hin­dert, dass wei­ter­hin die Kin­der von Migrant:innen Über­set­zungs­leis­tun­gen erbrin­gen müs­sen, wenn es um heik­le medi­zi­ni­sche Ein­grif­fe bei ihren Eltern geht. Über qua­li­fi­zier­te Sprachmittler:innen kann auch ver­hin­dert wer­den, dass es zu ver­häng­nis­vol­len Miss­ver­ständ­nis­sen zwi­schen Patient:in und den behan­deln­den Ärzt:innen kommt (bspw. bei der Ana­mne­se in der Auf­klä­rung oder in psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Settings).

Mehr zu die­sem The­ma ist unter www.caritas.de/neue-caritas/heftarchiv/jahrgang2016/artikel/ zu finden.

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