Pflegende Angehörige und Pflege in Zeiten des Pflegenotstands

Online-Veranstaltung Seniorentag 2021 am 26.11.2021

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Die Berich­te der ein­ge­la­de­nen pfle­gen­den Ange­hö­ri­gen beschrie­ben exem­pla­risch die unter­schied­li­che Rea­li­tät von Ange­hö­ri­gen­pfle­ge. Die Pfle­ge ihres Man­nes durch Frau H. fand in einer Zeit statt, als die Pfle­ge­stütz­punk­te noch nicht auf­ge­baut waren. Ihr Ehe­mann war Dia­be­ti­ker und wur­de früh dement. Die Erkran­kung ver­än­der­te das Wesen ihres Man­nes erheb­lich, er ent­wi­ckel­te Weg­lauf­ten­den­zen und wur­de zuneh­mend aggres­si­ver. Es war schwie­rig, eine Ein­rich­tung zu fin­den, die bereit und in der Lage gewe­sen wäre, ihren Mann zu ihrer Ent­las­tung zu betreu­en. Aus der Kurz­zeit­pfle­ge ist der Pfle­ge­be­dürf­ti­ge zwei­mal weg­ge­lau­fen. Die Tages­pfle­ge­ein­rich­tung sah sich nicht in der Lage, dort ihren Mann zu duschen. Frau H. muss­te ihren Beruf auf­ge­ben, um ihren Mann zu betreu­en und zu beauf­sich­ti­gen. Der Pfle­ge­be­darf ihres Man­nes führ­te dazu, dass nach und nach das Erspar­te der Fami­lie auf­ge­zehrt wer­den muss­te. Ihr Mann bekam zunächst eine klei­ne Erwerbs­min­de­rungs­ren­te. Sie selbst muss­te ihre Arbeit auf­ge­ben und spä­ter von Arbeits­lo­sen­geld leben.

Nico­le Knud­sen, Lan­des­ver­tre­tung „wir pfle­gen“ Schles­wig-Hol­stein bewer­tet den Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel­ko­ali­ti­on: Rund 75 Pro­zent aller Pfle­ge in Deutsch­land wird unbe­zahlt von Ange­hö­ri­gen und Freun­den geleis­tet, zumeist im häus­li­chen Bereich, im eige­nen Heim. Es wäre wün­schens­wert, wenn für die Tätig­keit von pfle­gen­den Ange­hö­ri­gen ein Ent­las­tungs­bud­get zur Ver­fü­gung stün­de. Die Selbst­be­stim­mung von Pfle­gen­den und die finan­zi­el­le Ent­las­tung durch Geld­leis­tun­gen, sozia­le Absi­che­rung und geeig­ne­te Ange­bo­te für pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge wären eine wich­ti­ge Bot­schaft der Poli­tik. Dazu zählt auch ein Rechts­an­spruch auf Leis­tun­gen zur Tages­pfle­ge. Der Aus­bau von Gemein­de­pfle­ge ist vor allem im länd­li­chen Raum eine sinn­vol­le Ergänzung.

Frau C. pflegt ihren Mann seit 16 Jah­ren, sie nimmt zusätz­lich die Unter­stüt­zung durch einen pro­fes­sio­nel­len Pfle­ge­dienst in Anspruch. Sie the­ma­ti­siert die zusätz­li­che Belas­tung von pfle­gen­den Ange­hö­ri­gen seit Coro­na. So sei es schwie­rig gewe­sen einen Impf­ter­min zu erhal­ten. Aktu­ell muss es für die Durch­füh­rung der Boos­ter-Imp­fung mobi­le Impf­teams geben, die Pfle­ge­be­dürf­ti­ge und ihre Ange­hö­ri­gen in der eige­nen Häus­lich­keit imp­fen. Mehr Kurz­zeit­pfle­ge­plät­ze wären wich­tig, wenn die Ange­hö­ri­gen selbst krank wer­den, Nacht­pfle­ge­an­ge­bo­te gibt es so gut wie gar nicht.

Caro­lin Tel­ler vom Kom­pe­tenz­zen­trum Geron­to­psych­ia­tri­sche Bera­tung, Lan­des­fach­stel­le Demenz in Braun­schweig, betont die Wich­tig­keit von exter­ner Bera­tung zum Bei­spiel durch zuge­las­se­ne Fachberater:innen. Bei der Bean­tra­gung von Leis­tun­gen zur Pfle­ge­ver­si­che­rung soll­ten sich pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge vor dem Begut­ach­tungs­ter­min durch den MDK gut dar­auf vor­be­rei­ten. Sie soll­ten bei dem Ter­min dabei sein. Es ist sinn­voll bereits vor dem Ter­min ein Pfle­ge­ta­ge­buch zu füh­ren, um den Unter­stüt­zungs­be­darf für eini­ge Tage zu doku­men­tie­ren. Nach dem Bescheid durch die Pfle­ge­ver­si­che­rung besteht zwei Wochen Zeit form­los Wider­spruch ein­zu­le­gen, sofern man mit der Ein­stu­fung nicht ein­ver­stan­den ist. Für Fami­li­en mit Pfle­ge­be­darf sind fol­gen­de Leis­tun­gen beson­ders wichtig:

  • Der Ent­las­tungs­be­trag von 125 Euro/Monat für haus­wirt­schaft­li­che Leis­tun­gen von dafür zuge­las­se­nen Diensten.
  • Nicht ver­brauch­te Leis­tun­gen kön­nen auch ange­spart werden.
  • Für die Ver­hin­de­rungs­pfle­ge ste­hen 1.612 Euro/Jahr zur Ver­fü­gung, die auch für nicht zuge­las­se­ne Diens­te z. B. durch Nach­barn ein­ge­setzt wer­den dür­fen, wenn der/die Pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge ver­hin­dert ist.
  • Sofern die Leis­tun­gen noch nicht erbracht wer­den kön­nen, wie z. B. nach einem Kran­ken­haus­auf­ent­halt, kann Kurz­zeit­pfle­ge in einer voll­sta­tio­nä­ren Ein­rich­tung bean­tragt und finan­ziert werden.
  • Die Mög­lich­kei­ten der Nacht­pfle­ge wird bis­her eher sel­ten angeboten.
  • Es besteht ein Anspruch auf Pfle­ge­ver­brauchs­mit­tel in Höhe von 40 Euro/Monat sowie
  • Finan­zie­rung von Leis­tun­gen für wohn­um­feld­ver­bes­sern­de Maßnahmen.
  • Für betreu­te Wohn­grup­pen gibt es einen Wohn­gup­pen­zu­schlag von 200 Euro/Monat.

Die Länd­li­che Erwach­sen­bil­dung Nie­der­sach­sen bie­tet älte­ren Men­schen und Ange­hö­ri­gen von Pfle­ge­be­dürf­ti­gen Unter­stüt­zung an. Dazu zäh­len Kur­se für pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge im Umgang mit Demenz, eben­so der Umgang mit Stress. Die Ange­hö­ri­gen kön­nen dar­über ler­nen, wie man sich ent­span­nen kann und auf wel­chem Weg die Selbst­für­sor­ge ver­bes­sert wird. Im länd­li­chen Raum ist die Pfle­ge von Ange­hö­ri­gen noch viel ver­brei­te­ter, weil Ange­bo­te durch Dienst­leis­ter sel­te­ner ange­bo­ten wer­den und die Pfle­ge durch Ange­hö­ri­gen zu den tra­di­tio­nel­len Vor­stel­lun­gen von Fami­li­en gehört. Die Refe­ren­tin Ingrid Her­mes wünscht sich mehr Stun­den z. B. zur Beglei­tung von pfle­gen­den Ange­hö­ri­gen, die Men­schen mit einer Demenz­er­kran­kung pflegen.

Kor­du­la Schulz-Asche, MdB, Spre­che­rin für Pfle­ge- und Alten­po­li­tik der Bun­des­tags­frak­ti­on von Bünd­nis 90/Die Grü­nen. Sie fass­te das im Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel­ko­ali­ti­on Erreich­te zusammen:

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Frau Schulz-Asche hat in einer der 20 Fach­grup­pen mit­ge­ar­bei­tet, die der Zen­tra­len Ver­hand­lungs­grup­pe zuge­ar­bei­tet hat. Sie geht von fol­gen­dem Aus­gangs­punkt aus: der Anteil der Men­schen mit Pfle­ge­be­darf wird in den kom­men­den Jah­ren ste­tig anwach­sen. Es wer­den in den nächs­ten Jah­ren weni­ger Fach­kräf­te zur Ver­fü­gung ste­hen als dies dem Pfle­ge­be­darf ent­spre­chen wür­de. In dem Koali­ti­ons­ver­trag wer­den die Anfor­de­run­gen zum stei­gen­den Pfle­ge- und Ver­sor­gungs­be­darf als Quer­schnitts­auf­ga­be nie­der­ge­schrie­ben. So fin­det sich die Aus­sa­ge zum bar­rie­re­ar­men Bau­en und quar­tiers­na­he Wohn­for­men im Kon­text zu Bau­en und Woh­nen. Stra­te­gisch wich­tig ist die Aus­sa­ge zum Bedarf an Pfle­ge­lot­sen und Gemein­de­pfle­ge. Dazu wer­den in den kom­men­den Jah­ren Beschäf­tig­te zu Com­mu­ni­ty Health Nur­ses qua­li­fi­ziert. Aktu­ell haben wir davon noch zu wenig in Deutschland.

In Bezug auf pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge ver­folgt Frau Schulz-Asche schon län­ger das Ziel, dass bei pri­vat erbrach­ten Pfle­ge­leis­tun­gen ein Rechts­an­spruch par­al­lel zur Kin­der­be­treu­ung zur Anwen­dung kom­men muss. Zur Ent­las­tung von Pfle­gen­den müs­sen die Berei­che Kurzzeit‑, Tages- und Nacht­pfle­ge mas­siv aus­ge­baut wer­den. Dazu sol­len die Kom­mu­nen finan­zi­ell gestärkt wer­den, um in der Lage zu sein, vor Ort ent­spre­chen­de Struk­tu­ren auf- und aus­zu­bau­en. Aktu­ell kön­nen Inves­to­ren gro­ße Pfle­ge­hei­me auf­bau­en und zie­hen damit auch Leis­tun­gen aus der Pfle­ge­ver­si­che­rung ab. Dies soll zukünf­tig kor­ri­giert wer­den. Regio­na­le Pfle­ge­an­ge­bo­te sol­len auch für Kin­der geför­dert werden.

Ange­strebt wird die Pfle­ge­ver­si­che­rung als Voll­ver­si­che­rung. Im Koali­ti­ons­ver­trag ist dazu ein Prüf­auf­trag fest­ge­hal­ten. Denn bei den Kos­ten der Heim­pfle­ge soll die soge­nann­te Behand­lungs­pfle­ge nicht mehr nach Pfle­ge­ver­si­che­rungs­recht finan­ziert wer­den, son­dern als Leis­tung der gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen. Dazu bedarf es einer Berech­nung der Aus­wir­kun­gen zur Ent­las­tung der Pfle­ge­ver­si­che­rung. Erst danach kann fest­ge­stellt wer­den, in wel­chem Umfang Mit­tel der Pfle­ge­ver­si­che­rung für ande­re For­men der Ent­las­tung zur Ver­fü­gung ste­hen. Die Zustän­dig­keit für Pfle­ge wird zum Teil beim Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um lie­gen, zum Teil beim Minis­te­ri­um für Fami­lie, Frau­en, Senio­ren und Jugend. Die GRÜNE Anne Spie­gel, jetzt Fami­li­en­mi­nis­te­rin der Ampel­ko­ali­ti­on, hat­te fünf Jah­re als Fami­li­en­mi­nis­te­rin in Rhein­land-Pfalz gute dezen­tra­le Ansät­ze aufgebaut.

Anto­nia Schwarz, Mit­ver­an­stal­te­rin
GRÜNE Alte Bundesverband

An der Ver­an­stal­tung nah­men 97 Teilnehmer:innen teil.

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