25 Jahre Ausruhen sind eine bescheuerte Perspektive

Lud­wig Has­ler ist Phi­lo­soph und Publi­zist. Er führ­te ein aka­de­misch-jour­na­lis­ti­sches Dop­pel­le­ben, war Dozent an den Uni­ver­si­tä­ten in Zürich, Bern sowie Luzern und in der Chef­re­dak­ti­on des «St. Gal­ler Tag­blatt» und der «Welt­wo­che». Für die «Zeit» ist er «wohl der erfolg­reichs­te Vor­trags­rei­sen­de der Schweiz». Er ist Autor und Kolum­nist, unter ande­rem auch für die­se Zei­tung. Has­ler lebt in Zol­li­kon. Er ist 75 Jah­re alt und hofft, dass man ihm sein Alter ansieht. Schliess­lich hat er sich Mühe gege­ben, zu leben.
Mit 65 in den Ruhestand zu treten, findet der Philosoph Ludwig Hasler einen Irrsinn. Statt die Hilfe vom Staat in Anspruch zu nehmen, sollen sich die Älteren selber helfen. Das mache auch glücklicher. Der 75-Jährige propagiert eine Art Sharing-Economy fürs Alter und hat gerade ein Buch darüber geschrieben (s. u.).

Hier ein Inter­view mit ihm aus dem Schwei­zer Tag­blatt von Raf­fa­el Schup­pis­ser 18.08.2019, 5 Uhr, gefun­den von unse­rem Grü­nen 60plus Mit­glied Kal­le Büch­ner aus Hamburg.

Nach der Pen­si­on kann man das Leben end­lich genies­sen. Aber so? »In Wirk­lich­keit sind 25 Jah­re Aus­ru­hen eine bescheu­er­te Per­spek­ti­ve«, sagt Lud­wig Hasler. 

Im Wohn­zim­mer liegt ein Sta­pel Bücher auf dem Tisch, dane­ben steht ein Flü­gel. Beet­ho­ven ist im Noten­stän­der fixiert. An den Wän­den hängt Kunst. Wir tref­fen Lud­wig Has­ler bei sich zu Hau­se zum Inter­view. Zu tun gibt es hier genug. Auch im Gar­ten, den er jeden Vor­mit­tag pflegt.

Haupt­be­ruf­lich beschäf­tigt sich der Phi­lo­soph aber noch immer als Autor und Red­ner – 100 Vor­trä­ge sei­en es etwa pro Jahr. Dabei wäre er nach gän­gi­ger Regel seit 10 Jah­ren pen­sio­niert. Und noch immer fin­det er Zeit, Bücher zu schrei­ben. «Für ein Alter, das noch was vor­hat», lau­te­te der Titel sei­nes neu­es­ten. Es ist als Plä­doy­er zu verstehen.

Die Lebens­er­war­tung in der Schweiz hat sich mas­siv ver­län­gert. Es ist nicht mehr mit 60 oder 65 Jah­ren Schluss. Män­ner wer­den durch­schnitt­lich 82 Jah­re alt, Frau­en 85. und 100-Jäh­ri­ge sind kei­ne Sel­ten­heit mehr. Das sind tol­le Aussichten.

Lud­wig Has­ler: Eigent­lich ja. Tat­säch­lich aber berei­tet die­se Ent­wick­lung den meis­ten Men­schen Mühe. Nicht das Älter­wer­den an sich, son­dern weil sie nicht recht wis­sen, was mit den zusätz­li­chen 25 Jah­ren anzu­fan­gen. Das ist eine neue Her­aus­for­de­rung. Mit Nichts­tun hat unser Genom kei­ne Erfah­rung. Unse­re Vor­fah­ren waren kei­ne bud­dhis­ti­schen Mön­che, son­dern Bau­ern und Hand­wer­ker. Da gab es stets für alle zu tun, auch für die Ältes­ten, bis zum Sterbebett.

Nach der Arbeit war­tet heu­te nicht das Ster­be­bett, son­dern ein lan­ger Lebensabend.

Der «Lebens­abend» dehnt sich aus zum Lebens­nach­mit­tag. Bald machen wir einen Drit­tel unse­res Lebens Sies­ta. Klingt ange­nehm. In Wirk­lich­keit sind 25 Jah­re Aus­ru­hen eine bescheu­er­te Perspektive.

Mir sind vie­le unter­neh­mungs­lus­ti­ge älte­re Men­schen bekannt. Ver­all­ge­mei­nern Sie nicht zu sehr?

Aktiv sind die meis­ten. Das ist eine Freu­de. Wir sind ja auch län­ger fit, gesund, unter­neh­mungs­lus­tig. Und wir sind frei – die Chefs unse­rer Tage! War­um steigt aus­ge­rech­net bei uns Alten der Alko­ho­lis­mus? Die Depres­si­on? Weil sich man­che über­flüs­sig vor­kom­men. Wann ist ein Mensch zufrie­den? Wenn er nicht allein ist, sei­ne Rol­le hat im Welt­thea­ter, sich nütz­lich machen kann. Man­che Alten kom­men sich eher vor wie aus­sor­tier­te Schach­fi­gu­ren. Und die Aus­sicht auf ewi­ge Him­mels­freu­den trös­tet auch nicht mehr gross.

Der ver­lo­ren gegan­ge­ne Glau­be an ein Leben nach dem Tod wirkt sich auf das Alter aus?

Alter war bis­her immer Über­gang – vom end­li­chen ins ewi­ge Leben. Da war es nicht so wich­tig, wie lan­ge es dau­ert. Haupt­sa­che, man hat­te gute Kar­ten fürs Jen­seits. Jetzt wird das Alter für vie­le zur End­sta­ti­on. Sie füh­len sich frei vom Him­mels­druck – und machen umso mehr Druck aufs Alter. Jetzt muss alles hier pas­sie­ren: Erleb­nis, Genuss, Glück. Das Alter als letz­te Gele­gen­heit, das Glück zu jagen. Wer es jetzt nicht schafft, schafft es nie.

Die Vor­aus­set­zung scheint ja gar nicht so schlecht. Vie­le Pen­sio­nä­re sind noch bei guter geis­ti­ger und kör­per­li­cher Gesund­heit, haben genug Geld und vor allem Zeit. War­um schaf­fen es vie­le nicht?

Der Mensch, sagen die Phi­lo­so­phen, ist ein exzen­tri­sches Wesen. Er kann nicht in sich ruhen, er hält es mit sich nicht aus. Will er in Form auf­lau­fen, muss er aus sich hin­aus, muss teil­neh­men am Leben ande­rer. Wer eine Bedeu­tung haben will, muss eine Bedeu­tung auch für ande­re gewin­nen. Wer sich nur um sein eige­nes klei­nes Glück küm­mert, verkümmert.

«Mit Nichts­tun hat unser Genom kei­ne Erfah­rung. Unse­re Vor­fah­ren waren kei­ne bud­dhis­ti­schen Mönche.»

Aber die heu­ti­gen Pen­sio­nä­re sind doch aktiv, rei­sen viel …

… nichts gegen Rei­sen. Nur leben wir halt nicht mehr im 19. Jahr­hun­dert. Heu­te tref­fen wir vor allem ande­re Tou­ris­ten – an Orten, die ver­stopft sind. Kein Wun­der, pas­siert unter­wegs immer weni­ger, meist keh­ren wir zurück, wie wir weg­ge­fah­ren sind. Leu­te, die ab und zu ein Buch lesen, fin­de ich oft welt­läu­fi­ger als Leu­te, die dau­ernd auf Ach­se sind.

Aus­ru­hen reicht nicht. Rei­sen macht auch nicht glück­lich. Was denn?

Wir könn­ten etwas mehr in Bewe­gung brin­gen als nur uns selbst. Ich glau­be, der Phi­lo­soph Arthur Scho­pen­hau­er hat recht, wenn er sagt: «Es gibt kein Glück, aus­ser im Gebrauch mei­ner Kräf­te.» Er meint: Es spielt über­haupt kei­ne Rol­le, über wel­che Kräf­te ein Mensch ver­fügt, ob er mathe­ma­tisch begabt, hand­werk­lich geschickt oder ein guter Unter­hal­ter ist. Haupt­sa­che, er hat etwas im Kopf und im Her­zen und in der Hand. Und er braucht es, macht es nutz­bar, auch für ande­re. Es ist ver­mut­lich so ein­fach, wie es tönt: So etwas wie Sinn liegt vor der Tür, eher nicht in mir.

Fehlt es am Wil­len der Pen­sio­nä­re oder an den Gele­gen­hei­ten, ihre Kräf­te zu nutzen?

Es liegt an Gewohn­hei­ten. Pen­sio­niert sein ver­bin­den wir mit Pri­vat­heit. Mit Rei­sen, Motor­rad­fah­ren, Jas­sen und so wei­ter. Ver­bind­li­che Tätig­kei­ten hal­ten wir eher für alters­fremd. Gele­gen­hei­ten gäbe es reich­lich. Bin ich der­einst beruf­lich nicht mehr gefragt, gehe ich in Zol­li­kon, wo ich lebe, zur Schu­le und fra­ge nach Bal­kan-Kin­der, mit denen ich Deutsch oder Mathe üben könnte.

War­um wol­len Sie sich gera­de auf die­se Wei­se altru­is­tisch engagieren?

Aus Ego­is­mus. Im Alter schrumpft ja mei­ne Zukunft. Es lohnt sich immer weni­ger, in sie zu inves­tie­ren. In die Zukunft ande­rer jedoch umso mehr. Ich über­lis­te sozu­sa­gen mein Alter, för­de­re Jun­ge, die ent­wi­ckeln sich dann natür­lich gross­ar­tig. Ich wer­de das nicht mehr erle­ben, aber ich bin an ihrer Zukunft betei­ligt, mein Wir­ken steckt in ihnen. Das ist mir der hei­ters­te Aus­blick: an einer Zukunft mit­wir­ken, auch wenn sie nicht mehr mei­ne sein wird. So über­le­be ich qua­si mich selber.

Senio­ren kämp­fen der­zeit mit zwei Volks­in­itia­ti­ven gegen die Alters­dis­kri­mi­nie­rung. Fehlt es an Respekt für die Älteren?

Respekt muss man sich ver­die­nen. Es scheint mir etwas aben­teu­er­lich, für fünf­und­zwan­zig Jah­re Pas­siv­mit­glied­schaft Respekt zu ver­lan­gen aus­ge­rech­net von den Jun­gen, die dafür die Zeche zah­len müs­sen. Respekt kommt von selbst, wo wir Alten Akteu­re wer­den, uns am gesell­schaft­li­chen Las­ten­aus­gleich betei­li­gen. Hie und da reicht.

45,7 Jah­re alt wur­den Män­ner Ende des 19. Jahr­hun­derts. Frau­en brach­ten es durch­schnitt­lich auf 48,5 Jah­re. Heu­te liegt die Lebens­er­war­tung in der Schweiz bei 80,5 bzw. 84,9 Jahren.

150 Jah­re alt kön­ne der Mensch pro­blem­los wer­den, ist der Gene­ti­ker und Har­vard-Pro­fes­sor David Sin­clai­re über­zeugt. Bei Labor­rat­ten ist es sei­nem Team gelun­gen, durch epi­ge­ne­ti­sche Repa­ra­tu­ren das Alter nicht nur zu ver­lang­sa­men, son­dern umzu­keh­ren. Nicht nur er, son­dern auch Bio­tech-Start-ups und Goog­le wol­len sich das zunut­ze machen, um Men­schen noch älter wer­den zu lassen.

Jeder 10. der über 65-Jäh­ri­gen lei­det in der Schweiz unter Demenz. Bei den über 90-Jäh­ri­gen ist jeder Drit­te davon betrof­fen. Je älter die Men­schen wer­den, des­to mehr wird Demenz zum Pro­blem. Total lei­den in der Schweiz gegen 148.000 an die­ser Krankheit.

Jun­ge Fami­li­en unter­stützt der Staat mit Kitas, Kin­der mit Heil­päd­ago­gen. Soll­te der Staat nicht auch mehr für die Älte­ren tun?

Dass er mehr für Betreu­ung tut, ist jetzt im Gespräch. Ich bin skep­tisch, wenn ich die­sen the­ra­peu­ti­schen Ton höre. Wir Alten kön­nen uns doch sel­ber hel­fen, gegen­sei­tig. Wir sind ja nicht alle Pati­en­ten. Auch Fach­leu­te kom­men auf den Geschmack an «Ent­pro­fes­sio­na­li­sie­rung» der Alters­hil­fe: Kein Pro­fi hält acht Stun­den Empa­thie täg­lich durch. Zwei Stun­den schafft jeder, län­ger muss ein lai­en­haf­ter Seni­or auch nicht ran.

»Für ein Alter, das noch was vor­hat«, lau­tet der Titel Ihres neu­en Buches. Was schla­gen Sie vor?

Die flä­chen­de­cken­de Ver­brei­tung kom­mu­na­ler Senio­ren­rä­te, sie orga­ni­sie­ren nicht nur den Früh­lings­aus­flug, sie ver­mit­teln Fach­kom­pe­ten­zen. Unter uns Alten gibt es von jedem Schlag genug, Kräf­ti­ge, Lus­ti­ge, Köchin­nen, Chauf­feu­re, Infor­ma­ti­ker. Wir sol­len nicht alles an Pro­fis dele­gie­ren. Wir kön­nen die Regie der Alters­welt sel­ber in die Hand neh­men. So haben wir zu tun, wer­den gebraucht, kön­nen uns nütz­lich machen – kurz, wir bekom­men wie­der eine Bedeu­tung auch für ande­re. Was bekannt­lich Sinn ergibt.

Eine Art Sha­ring-Eco­no­my unter älte­ren Menschen?

Ja, und zwar mit rezi­pro­kem Ego­is­mus. Küm­me­re ich mich nicht allein um mich, rich­te ich der kran­ken Nach­ba­rin den Gar­ten, füh­le ich mich bes­ser, als wenn ich grad von der Kreuz­fahrt zurück­keh­re. Klingt ober­spies­sig. Ist halt so.

Aber die Ver­mi­schung der Gene­ra­tio­nen könn­te dar­un­ter leiden.

Dar­um schla­ge ich wei­ter vor: Lasst uns Alters­qua­li­tä­ten wie­der schät­zen! Aus­ge­rech­net die Alten sel­ber schla­gen sie in den Wind. Statt­des­sen him­meln sie ihre Kin­der­gar­te­nen­kel an, weil sie auf dem Han­dy her­um­wi­schen können.

Was sind denn die Altersqualitäten?

Alles, was Zeit braucht. Die Jun­gen haben das fri­sche­re Wis­sen, mehr Élan und – hof­fe ich doch – mehr Illu­sio­nen. Wir Älte­ren kön­nen Erfah­rung haben. Erfah­rung kann man nicht ler­nen, Erfah­rung muss man machen. Ein jun­ger Arzt mag auf dem neu­es­ten Stand des medi­zi­ni­schen Wis­sens sein. Eine 65-jäh­ri­ge Ärz­tin hat aber zu allen ein­schlä­gi­gen Krank­hei­ten schon Hun­der­te Pati­en­ten gese­hen. Erst die­se Erfah­rung macht ärzt­li­che Kunst aus. Sie wird auch durch Digi­ta­li­sie­rung und künst­li­che Intel­li­genz nicht über­flüs­sig. Erfah­rung ist das spe­zi­fisch Menschliche.

Eine Füh­rungs­kraft stellt ihre Teams so zusam­men, dass bei­des ver­tre­ten ist.

Wäre schlau. Das Zusam­men­spiel von fri­schem Wis­sen plus Élan und Erfah­rung plus Skep­sis wäre unschlag­bar. Es schei­tert nicht immer an Jungen.

Was machen dann die Älte­ren falsch?

Erfah­rung ist kein Auto­ma­tis­mus. Es gibt 60-Jäh­ri­ge, die sind frei von Erfah­rung. Sie pochen auf ihr Wis­sen von ges­tern, füh­len sich bedroht durch Men­ta­li­tä­ten der Jungen.

Der­zeit gilt das Pen­si­ons­al­ter 65 für Män­ner und 64 für Frau­en. Soll­te man es her­auf­set­zen?

Klar. Fle­xi­bi­li­sie­ren sowie­so. Die best­ge­laun­ten Alten, die ich ken­ne, machen ein­fach wei­ter. Nicht unbe­dingt das Glei­che wie bis­her. So lan­ge wie mög­lich den­sel­ben Job machen, ist auch nicht der Gip­fel der Fan­ta­sie. Kürz­lich lern­te ich eine Ban­ke­rin ken­nen, die lei­tet neu eine üppi­ge Abtei­lung – weil ihr bis­he­ri­ger Chef ihr den Tausch vor­schlug. Er bleibt mit sei­ner Erfah­rung dabei, ver­dient klar weni­ger. Sie rückt mit ihrem Taten­drang auf. Vor­bild­lich. Da ste­cken wir noch in den Anfängen.

Poli­ti­ker bis in die bür­ger­li­che Mit­te argu­men­tie­ren, dass man zuerst dafür sor­gen muss, dass älte­re Men­schen eine gewis­se Job­si­cher­heit haben, ehe man das Ren­ten­al­ter her­auf­setzt. Was hal­ten Sie davon?

Nicht viel. Das zeigt, wie schief die Dis­kus­si­on läuft. Immer­hin hat die Wirt­schaft ein vita­les Inter­es­se an älte­ren Mit­ar­bei­tern. Im nächs­ten Jahr­zehnt schei­den 200.000 gestan­de­ne Fach­kräf­te mehr aus dem Arbeits­le­ben aus, als jun­ge nach­rü­cken. So wer­den selbst Kon­zer­ne gezwun­gen sein, Älte­re nicht nur als Kos­ten­stel­le zu betrachten.

Ande­rer­seits gibt es Öko­no­men, die behaup­ten, dass Digi­ta­li­sie­rung, Auto­ma­ti­sie­rung und der Mega­trend künst­li­che Intel­li­genz Jobs ver­nich­ten wer­den. Viel­leicht brau­chen wir in Zukunft gar nicht mehr so vie­le mensch­li­che Arbeiter.

Schon mög­lich. Es betrifft aber eher ein­zel­ne Tätig­kei­ten, weni­ger gan­ze Jobs. Über­dies geben auch Robo­ter und digi­ta­le Assis­ten­ten krass zu tun, wenn sie nicht grö­be­ren Unfug anrich­ten sol­len. Jeden­falls dürf­te die Nach­fra­ge nach Leu­ten stei­gen, die mit gesun­dem Men­schen­ver­stand, mit Herz und Hand bei der Sache sind.

Aber gibt es denn wirk­lich für alle Älte­ren geeig­ne­te Jobs? Ein 65-jäh­ri­ger Mau­rer kann kaum weiterarbeiten.

Nein. Aber sol­len wir Ideen gleich ver­wer­fen, nur weil sie nicht auf Anhieb für alle tau­gen? Der Mau­rer kann mir bei der Umge­stal­tung des Sitz­plat­zes zur Hand gehen.

»Lasst uns Alters­qua­li­tä­ten wie­der schät­zen! Aus­ge­rech­net die Alten schla­gen sie sel­ber in den Wind.«

Dadurch wird aber das Ein­kom­mens­ge­fäl­le zwi­schen einem Mau­rer und einem Mana­ger noch höher. Ers­te­rer bekommt mit 65 bloss die Ren­te, die tie­fer ist als jene des Mana­gers. Die­ser aber kann noch zehn Jah­re arbeiten.

Auch Diri­gen­ten strei­chen noch mit 90 dicke Hono­ra­re ein. Mit Ungleich­hei­ten lässt sich leben, sofern alle ein aus­kömm­li­ches Alter haben. Man könn­te das Ren­ten­al­ter an die Anzahl Erwerbs­jah­re knüp­fen. Hat der Mau­rer mit 18 zu arbei­ten begon­nen, kann er sich zehn Jah­re frü­her pen­sio­nie­ren las­sen als der Mana­ger, der erst mit 28 in die Arbeits­welt ein­ge­stie­gen ist.

Ein sol­cher Vor­schlag wäre poli­tisch nicht mehr­heits­fä­hig. War­um kann sich die Gesell­schaft nicht damit anfreun­den, län­ger zu arbeiten?

Weil sie noch nicht ver­stan­den hat, dass das Alter sich in den letz­ten 50 Jah­ren kom­plett ver­än­dert hat. Wir tun so, als ob die 65 Jah­re natür­lich gege­ben wären. Dabei stammt die­se Gren­ze ja aus einer ganz ande­ren Zeit. Sie geht auf Otto von Bis­marck zurück, der die Lebens­er­war­tung im 19. Jahr­hun­dert noch bei 70 Jah­ren ansetz­te. Als sie in der Schweiz ein­ge­führt wur­de, lag die Alters­er­war­tung dar­un­ter. Die ein­zi­ge rich­ti­ge Lösung ist es, das Ren­ten­al­ter an die Lebens­er­war­tung anzupassen.

Die Lebens­er­war­tun­gen wer­den wei­ter stei­gen. «Der Mensch, der 150 Jah­re alt wird, ist bereits gebo­ren», sagt der Gene­ti­ker David Sin­clair. Das Pro­blem wird sich also noch verstärken.

Egal wie lan­ge die­ser Lebens­nach­mit­tag dau­ert: Am Ende hilft nur der Gal­gen­hu­mor, uns in die eige­ne Ver­gäng­lich­keit zu schi­cken. Mir fällt das leich­ter, wenn ich vor­her noch mit­wir­ke an einer Zukunft, auch wenn sie nicht mehr mei­ne sein wird.

Buch­tipp: Lud­wig Has­ler: Für ein Alter, das noch was vor­hat. Rüf­fer & Rub 2019, 143 Seiten

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